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R?diger Sagel auf dem Prinzipalmarkt

Das vergessene braune Erbe

Der demokratische Neuaufbau der Bundesrepublik Deutschland nach Ende der NS-Diktatur ist ein weit verbreiteter Mythos, der allgemein unter dem Begriff der "Stunde Null" bekannt ist. Viel ist über den angeblich kompletten Neuanfang aus den Trümmern des Dritten Reiches gesagt worden. Bei näherer Betrachtung aber erstaunt, dass die Zusammensetzung der bundesdeutschen Länderparlamente in der Nachkriegszeit niemals näher beleuchtet worden ist. Nahezu alle bis heute dazu vorliegenden Informationen beruhen ausschließlich auf den persönlichen Angaben der Abgeordneten, die in den biografischen Handbüchern der Landtage veröffentlicht sind.

Eine unabhängige systematische Verifizierung anhand der aus dem Dritten Reich überlieferten Akten, wie der Mitgliederkartei der NSDAP, ist bis heute nicht erfolgt. Auch in NRW wurde im Jahr 2006, herausgegeben von der Präsidentin des Landtags NRW, nur aufgrund der persönlichen Angaben aller Abgeordneten seit 1948 das Buch "60 Jahre Landtag NRW" veröffentlicht. Aufgrund der bei den Abgeordneten weitgehend fehlenden Hinweise auf eine nationalsozialistische Vergangenheit hat sich mir die Frage gestellt, ob dies tatsächlich so ist, und die Angaben der Wahrheit entsprechen. Zudem ist fraglich und steht der Beleg aus, ob die von den Alliierten nach 1945 angestrebte Demokratisierung Deutschlands denn auch bei den politischen Eliten der Bundesrepublik tatsächlich einen nachhaltigen Erfolg hatte. Oder anders gesagt: Gab es wirklich einen klaren Einschnitt gegenüber der NS-Zeit wie im Begriff der "Stunde Null" suggeriert? Gelang es nach 1945 auch personell dauerhaft, ehemalige Nazis von Mandaten und Führungspositionen wirksam fernzuhalten?

In den Handbüchern aller westdeutschen Landtage finden sich für die Zeit zwischen 1933 und 1945 zumeist keine oder - wenn überhaupt dann nur sehr spärliche - Hinweise: So wird etwa in den biografischen Handbüchern des rheinland-pfälzischen und niedersächsischen Landtages keine einzige NSDAP-Mitgliedschaft eines Abgeordneten ausgewiesen. Nicht anders auch in dem 2006 veröffentlichten Buch des nordrhein-westfälischen Landtages, in dem sich nur sehr vereinzelt entsprechende Hinweise finden. Angaben beispielsweise zu einer Migliedschaft in der NSDAP, der SA, SS oder eine Betätigung als NS-Funktionär finden sich, mit Ausnahme eines einzigen CDU-Abgeordneten, der später aus der NSDAP ausgeschlossen wurde und in Gestapohaft kam, überhaupt nicht. Lässt sich daraus schon verlässlich schließen, dass es nach 1945 erfolgreich gelang, ehemalige Nazis von politischen Führungspositionen in der Bundesrepublik fernzuhalten?

Insbesondere die CDU - von Jakob Kaisers Zeiten bis heute - beruft sich immer wieder auf das Erbe des Widerstandes. Ehemalige Nazis hingegen sollten nur bedingt in die CDU aufgenommen werden, zumindest aber im politischen Leben keine führende Rolle mehr spielen. Die rheinland-pfälzischen Christdemokraten gingen noch weiter. Sie wollten das aktive Wahlrecht nur an diejenigen vergeben, die nie in der NSDAP oder ihren Gliederungen waren. Um aber wenigstens zu verhindern, dass Verfolgte des Hitlerregimes mit Altnazis in einer Partei zusammentreffen, forderten auch ihre westfälischen Parteifreunde: "Frühere Mitglieder der NSDAP sollen nicht in der Führung unserer Partei vertreten sein."Für mich war dies, ebenso wie auch in Landtagsdebatten geäußerten Aufforderungen die eigene Parteigeschichte aufzuarbeiten, Anlass genauer zu untersuchen, wieweit insbesondere die b?rgerlichen Parteien mit ihrer geschichtlichen Aufarbeitung sind. Dies auch vor dem Hintergrund, dass 2008 eine historische Untersuchung der niedersächsischen Fraktion DIE LINKE im Landtag in Hannover in Auftrag gegeben wurde. Sie brachte ans Licht, dass sich in der Nachkriegszeit in Niedersachsen unter den Abgeordneten von CDU, FDP und DP des Landtages in mindestens 71 Fällen alte Nazis befanden. Darunter waren in 12 Fällen Abgeordnete, die als sogenannte "alte Kämpfer" der NSDAP sich Hitler schon geraume Zeit vor 1933 angeschlossen hatten. Das Ergebnis dieser Untersuchung hat im Landtag in Niedersachen dazu geführt, die eigene Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten. In NRW ist man offensichtlich dem m?glichen braunen Erbe bei den Abgeordneten bisher nicht nachgegangen. Auch in anderen Bundesländern gibt es noch immer nicht die Bereitschaft, sich mit dem braunen Erbe des Faschismus zu befassen. Dies hat mich als Mitglied der Partei DIE LINKE im Düsseldorfer Landtag veranlasst, der Thematik in einer wissenschaftlichen Untersuchung nachzugehen. Deshalb habe ich den Historiker Dr. Michael C. Klepsch damit beauftragt, sich der Problematik anzunehmen - und möchte mich an dieser Stelle für seine mehrmonatige Arbeit bedanken.

Das hier vorgelegte Ergebnis soll als weitergehende Anregung verstanden werden, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, blinde Flecken im historischen Selbstverständnis zu beseitigen, und nicht zuletzt auch heutigen fremdenfeindlichen wie neofaschistischen Aktivitäten bereits im Ansatz entschieden entgegenzutreten.

Rüdiger Sagel
Düsseldorf im Oktober 2009
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